Digitaler Grips & Chips vom 18. Januar 2022 von Farner St.Gallen
Die Verschiebungen am politischen Meinungsmarkt beobachtet Farner genau. Neue Akteure und Akteurinnen drängen auf den politischen Meinungsmarkt und die Relevanz von Absendenden verändert sich rasant, deshalb müssen Kampagnen neu gedacht werden.
In einem Input erläuterte Michel Grunder (Practice Head Public Affairs bei Farner) Tipps für erfolgreiches Kampagnenmanagement. Im nachfolgenden Podium debattierten Laura Zimmermann (eh. Co-Präsidentin Operation Libero), Mike Egger (Nationalrat SVP), Daniel Sager (Leiter TV Südostschweiz bei Somedia) gemeinsam mit Michel Grunder. Themen waren der Kampf um Aufmerksamkeit, Grenzen von Kampagnen und sich wandelnde Meinungsführende. Der Event wurde von Isabel Schorer (Leiterin Farner St.Gallen AG) moderiert.
Trends am politischen Meinungsmarkt
Das politische Interesse der Bevölkerung in der Schweiz ist gross. Das sieht man anhand aktueller Abstimmungszahlen und der Anzahl eingereichter politischer Vorstösse. Die Abstimmungsvorlagen zu Landwirtschaft, Begrenzungsinitiative, CO2-Gesetz, Konzernverantwortung und Covid-Pandemie haben sicher auch dazu beigetragen, dass aktuell so viele Personen an die Urne gehen. Referent Michel Grunder sagt: «Spannend an der hohen Stimmbeteiligung von bis zu 60 Prozent ist, dass sich auch Bevölkerungsgruppen an die Urne begeben, die von Parteien und Verbänden historisch wenig angesprochen wurden.»
Am politischen Meinungsmarkt wird unterdessen der Status quo der absenderdominanten Strukturen von neuen Bewegungen und Pressure-Groups infrage gestellt und Meinungsmachende wie Operation Libero, Klima- und Frauenbewegungen verschaffen sich Gehör. Auffallend ist, dass diese neuen Bewegungen stark thematisch arbeiten. Diese Themenverbunde sind sehr agil und bringen frischen Wind in die Politiklandschaft. Sie schaffen es, Personen für die Politik zu begeistern, die von klassischen Parteien nicht politisiert werden. Oftmals bleiben solche Themenverbunde jedoch nur kurz am Leben, Bewegungen wie die Operation Libero haben aber bewiesen, dass sie gekommen sind, um zu bleiben.
Politik am Puls der Zeit
Unterdessen zeigt sich die Digitalisierung auch in der Politik. Mit WeCollect hat sich ein digitaler Unterschriftensammler für Referenden und Initiativen etabliert. Dies sorgt gemäss Grunder zu einer Machtverschiebung, dass eine Plattform aus der Zivilgesellschaft referendumsfähig wird. Eine Machtverschiebung zeichnet sich auch im politischen Klima ab. Wirtschaftsliberale Themen haben in letzter Zeit an Terrain verloren. Dafür erhalten soziale und nachhaltige Themen Aufschwung.

Kampagnen sind das Schlussbouquet des parlamentarischen Prozesses, die Aufbauarbeit dafür beginnt früh
Tipps für erfolgreiche Kampagnen
Der Meinungsbildungsprozess dauert heute tendenziell länger. Um mit meiner guten Prädisposition in die «heisse Phase» ziehen zu können, braucht es genügend zeitlichen Vorlauf und Aufbauarbeit. Grunder empfiehlt: «Gerade wenn Mehrheitsverhältnisse unklar sind, muss möglichst früh eine solide Grunddisposition aufgebaut werden.» Früher dauerten Abstimmungskampagnen wenige Wochen, heute sind es eher einige Monaten. Die frühe Etablierung ermöglicht es auch, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ganz individuell anzusprechen. «Wir brauchen eine Segmentierung in der Ansprache», sagt Grunder in seinem Referat. Unsere Gesellschaft ist heute so verschieden, dass eine einzige Ansprache für die gesamte Bevölkerung nicht ausreicht, um 50 Prozent der Stimmen zu gewinnen. Die Wertehaltung auf dem Land kann andere Emotionen auslösen als in einer Stadt. Entsprechend sollen die Milieus in Tonalität, Design, Form und Absendendem eigenständig angesprochen werden. Eine Ansprache, die vereinfacht sein muss. «Weg von Details hin zu einem grossen Ganzen», führt Grunder aus. Damit die Stimmenden aktiv werden, muss die Relevanz der Abstimmung für die Bevölkerung verständlich werden. Dieses Vereinfachen gilt nicht nur für Inhalte, sondern auch für Werbemittel.
Kampf um Aufmerksamkeit
«Eine Kampagne muss korrekt sein und darf keine Unwahrheiten verbreiten», sagt SVP Nationalrat Mike Egger auf die Frage, ob es bei Kampagnen Grenzen gebe. Egger war mitverantwortlich für die Nein-Kampagne des CO₂-Gesetzes. Darauf hängt er an, selbstverständlich gehöre es bei Kampagnen dazu, mit Emotionen zu spielen. Emotionen, die man zum Beispiel mit sehr provokativen Plakaten erreichen kann. Die eh. Co-Präsidentin der Operation Libero Laura Zimmermann sagt, grundsätzlich habe sie nichts gegen provokative SVP-Kampagnen. Es sei eine einfache Art, Politik zu machen, wenn man mit klassischen Feindbildern arbeite. Gerade in einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne der Bevölkerung stetig kleiner wird, funktionieren populistische Kampagnen gut.
Das Podium ist sich einig, dass der Grat zwischen Information und Populismus nicht einfach zu treffen ist, wenn man eine gewisse Plakativität erreichen möchte. Um zu überprüfen, was beim Publikum ankommt, empfiehlt es sich, eine Kampagne mit unterschiedlichen Personen zu spiegeln. Die Sichtweise der Medien brachte Daniel Sager ein. Als Programmleiter beim Fernsehen habe man gerne Emotionen auf dem Sender. Es sei aber wichtig, dass Informationen zu den Emotionen geliefert werden und nicht nur die Kernargumente mantrisch wiederholt werden. Starke Medien sind das Rezept gegen «alternative Fakten», welche alle Teilnehmenden als Gefahr für die Gesellschaft sehen.
Wandel der Meinungsführenden
In den letzten Jahren hat sich die Landschaft der Meinungsbeeinflussenden stark gewandelt. Dieser Wandel könnte sich in Zukunft gerade bei Abstimmungskämpfen weiter verstärken, wenn sich NGO und Organisationen thematisch einbringen. Im parlamentarischen Prozess werden Parteien aber weiterhin eine tragende Rolle übernehmen. Für Zimmermann ist es gar nicht so wichtig, ob Parteien oder Organisationen diesen Wandel für sich entscheiden: «Wichtig ist, dass es beides gibt und das Partei-Establishment weiterhin herausgefordert werde.»
Vor Herausforderungen steht auch die Medienlandschaft, das zeigt nicht zuletzt der Medienmonitor der Schweiz vom BAKOM 2019. Social Media ist in der Meinungsbildung der lateinischen Schweiz bereits wichtiger als online oder Print Angebote von Zeitungen. Sager hoffe natürlich, dass traditionelle Medien weiterhin eine Rolle spielen. Für den Journalismus sind verschiedene Stimmen, insbesondere deren Meinungen, spannend. So können unterschiedliche Sichtweisen eingebracht werden, dies gilt als einer der wichtigsten Grundsätze im Medien-Business.
Digitale Event-Plattform Vico
Der digitale Grips & Chips fand auf der von DU DA neu entwickelten digitalen Eventplattform ViCo statt.

Nach der Veranstaltung direkt mit Teilnehmenden «an einen Tisch» sitzen und sich auszutauschen – die digitale Eventplattform Vico macht das virtuell möglich
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